Eine illustrative Anmerkung über «Intelligenz»

Das Problem des Realitätsbezuges des Begriffes «Intelligenz» wird durch eine Bemerkung von A. K. Dewdney* schön illustriert.


(*) in Spektrum der Wissenschaft 5, 1986, p.6ff

Gekünstelte Intelligenz?

Am angegebenen Ort berichtet A.K.Dewdney über zwei Computerprogramme, die ein

>>Gefühl von komischer Entlarvung über die «geistigen Muskeln» hinterlassen, die angeblich durch eine hohe Punktezahl bei einem traditionellen IQ-Test unter Beweis gestellt werden. Beide Programme erreichen Genie- oder fast Genie-Niveau, wenn es um zwei Aufgabentypen geht, die in solchen Tests häufig vorkommen: das Auffinden des nächsten Gliedes in einer Zahlenfolge und das Erkennen visueller Analogien. Trotzdem sind beide Programme leicht zu durchschauen, und es berührt schon fast peinlich, wie beschränkt sie in Wahrheit sind.

Ich möchte niemandem zu nahe treten, der sich reich mit geistigen Fähigkeiten gesegnet dünkt. Mein Spott über den IQ-Test hat jedoch einen ernsten Hintergrund. Der Test erhebt den Anspruch, die Intelligenz zu messen, und kaum eine andere menschliche Fähigkeit ruft soviel Stolz bei ihrem Besitzer und solche Minderwertigkeitsgefühle bei denen hervor, welchen sie abgeht. Das Konzept der Intelligenz aber, das den traditionellen IQ-Tests zugrundeliegt, ist schlicht verfehlt. Den Grund dafür hat Stephen Jay Gould von der Harvard-Universität in seinem Buch «Der falsch vermessene Mensch» überzeugend dargelegt (vergleiche Buchbesprechungen, Spektrum der Wissenschaft, August 1984). Seine Argumentation läuft darauf hinaus, dass der traditionelle IQ-Test auf der stillschweigenden, irrigen Annahme beruht, Intelligenz sei wie Muskelkraft ein isolierbares Merkmal der menschlichen Physiologie, das sich durch eine abgestufte Folge von Aufgaben messen lasse.

Das Vervollständigen von Zahlenfolgen ist ein gutes Beispiel. Wie lautet das nächste Glied der Folge 2, 4, 6, 8, . . . ? Oder der Folge 2, 4, 8, 14, . . . ? Und wie steht es mit 1, 2, 6, 24, . . . ? Der Prozentsatz richtiger Antworten auf eine Reihe solcher Fragen gestattet angeblich ebenso eine Aussage über Ihre «allgemeine Intelligenz», wie das Gewicht einer Hantel, die Sie gerade noch heben können, die Stärke Ihrer Armmuskulatur zu bewerten erlaubt.

Die Verwendung von IQ-Tests zur Beurteilung der «allgemeinen Intelligenz» setzt voraus, dass es irgendeine Grundfähigkeit oder eine kleine Anzahl von Grundfähigkeiten gibt, die für diese Eigenschaft massgeblich sind. Da nun die blosse Idee einer allgemeinen Intelligenz bereits eine starke Korrelation zwischen den Grundfähigkeiten voraussetzt, kommt es auf die genaue Art der Aufgaben in dem IQ-Test kaum an. Eine Aufgabe ist dabei so gut wie jede andere.

(...)

Fragwürdiges Intelligenzkonzept

Das bringt mich zurück auf das schon am Anfang angeschnittene Thema der menschlichen Intelligenz. Worin besteht sie, und wie lässt sie sich messen?

Wie erwähnt, hat Stephen Jay Gould den IQ als ein untaugliches Mass für den Menschen charakterisiert. In seiner Kritik hat er zwei Trugschlüsse hinter dem IQ-Konzept dokumentiert: die unkritische Vergegenständlichung einer Abstraktion und die Messung der verdinglichten Abstraktion mit einem einzigen, festen Massstab. Die Sprache selbst ist weitgehend schuld an unserer Neigung, uns auch von ziemlich verschwommenen Abstraktionen konkrete Vorstellungen zu machen. Und alles Dingliche wollen wir dann gleich auch vermessen.

Indem wir nach nur einem numerischen Mass verlangen, verfallen wir dem zweiten Trugschluss: dass sich alles seiner Grösse nach in eine eindeutige Reihenfolge bringen lasse. Wir wollen also komplexe Phänomene auf einer eindimensionalen Skala messen. Diese Praxis hat sich in der Physik zwar bewährt, in den Sozialwissenschaften aber ärmliche Resultate hervorgebracht. Ein Beispiel liefern die IQ-Tests. Sie sind für das 20. Jahrhundert das, was für das 19. die Schädelvermessung war. In beiden Fällen wurden ganze Rassen falsch vermessen, und zwar nicht nur, weil das Mass an sich fast bedeutungslos war, sondern auch, weil in die Messung selbst bewusst oder unbewusst Vorurteile einflossen.

(Ist das nicht auffallend ähnlich wie bei Härte oder bei Wertigkeit? Siehe weiter unten im Artikel -- GVa)

Gould attackiert mit Nachdruck jeglichen biologischen Determinismus, die Vorstellung also, menschliches Verhalten sei durch die Gene bestimmt, und er warnt davor, die Fähigkeiten unseres Gehirns als direktes Produkt der natürlichen Auslese anzusehen. «Unsere Gehirne sind ungeheuer komplexe Computer», schreibt er. «Wenn ich einen viel einfacheren Computer für die Buchführung in einem Betrieb aufstelle, so vermag der auch viele weitere, kompliziertere Aufgaben auszuführen, die mit denen, für die er angeschafft wurde, in keinerlei Zusammenhang stehen. Diese zusätzlichen Fähigkeiten sind das unvermeidliche Nebenprodukt seiner inneren Struktur und keine Folge von Anpassungsvorgängen. Auch unsere unendlich komplexeren organischen Computer wurden für bestimmte Zwecke gebaut, aber sie besitzen eine fast erschreckende Vielzahl weiterer Fähigkeiten -- einschliesslich derer, die uns, wie ich vermute, überhaupt erst zu Menschen machen.»

Mit diesem Vergleich spricht Gould etwas an, was ich höchst verwirrend an den ziemlich simplen Computerprogrammen finde, die bei IQ-Tests genial abschneiden. Misst der Test die Intelligenz des Computers? Wenn nicht, auf welche andere Weise kann man dann tatsächlich die Intelligenz eines jeden Computers messen, sei er nun aus Silicium oder aus Kohlenstoff-Verbindungen? Die Antwort: wahrscheinlich nicht, indem man ein IQ-Programm einer Reihe von Tests unterzieht<<

(Stephen Jay Gould in «Der falsch vermessene Mensch», Basel, Birkhäuser 1983)

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